Es ist, als wäre der Kalte Krieg 1989 nur kaltgestellt worden, um bei Gelegenheit, mit neuer Besetzung, wieder aufgewärmt zu werden. Der amerikanische Präsident ruft es der Welt zu: 'Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für den Terrorismus.' Wieder wird die 'freie Welt' eingeschworen auf Schwarz oder Weiss, werden KritikerInnen zu SympathisantInnen und SympathisantInnen zu Staatsfeinden erklärt.
Als hätte es die Fichenaffäre nie gegeben, wird auch in der Schweiz über die Aufrüstung des Staatsschutzes nachgedacht. Vergessen die Aufregung in breiten Teilen der Öffentlichkeit, als eine Parlamentarische Untersuchungskommission in dem Jahr, in dem die Mauer fiel, auf 900000 Fichen stiess und mehr als einmal das Wort 'Staatskrise' fiel.
Nur kurze Zeit später begrub der dicke Staub der schnellen Zeit den eidgenössischen Jahrhundertskandal. Jahre danach zogen Abertausende ihre bundespolizeilich beglaubigte Biografie aus eingeschriebenen Couverts, wurden in längst vergangene Tage zurückgerissen und mit Beschattungsrealitäten konfrontiert, die ihnen damals verborgen geblieben waren.
Unter ihnen die ProtagonistInnen von Jürgmeiers literarischer Reportage über den Kalten Krieg. In den aufgrund von ausführlichen Gesprächen und Staatsschutzakten verfassten Berichten folgt Schwarz im Auftrag von Weiss (beides fiktive Erzählfiguren) den Spuren derer, die bespitzelt oder auch übersehen wurden. Zwischen 1945 und 1989 spiegelt sich die Welt in subjektiven Geschichten, wird sichtbar, wie der Kalte Krieg in Form von Verdächtigung, Überwachung, Anklage und Diskriminierung in individuelles Leben einbricht. Die 'Figuren' des Buches leben in einer Zeit, die geprägt ist von grossen Hoffnungen ('Nie wieder Krieg'), uneingelösten Utopien und enttäuschten Sehnsüchten nach einer gerechten und friedlichen Welt. Und sie hatten Visionen. Das machte sie verdächtig. Heute mögen sie einigen als lächerliche oder gar verstaubte Figuren erscheinen. Aber in einer Zeit, in der öffentlich erklärt wird, damals, 1989, nach dem Fichenskandal, sei 'überreagiert' worden, werden Erinnerungen an die Vergangenheit zu Erinnerungen an die Zukunft.