Wie wird man ein deutscher Held? Fritz Eckhoff versucht sich daran. In einer Zeit, als man das von Jungen erwartete, in einer zerrissenen Epoche voller Widersprüche von Kaiserreich über Republik zur Diktatur. Fritz kämpft, glaubt, entwickelt sich, wird fallengelassen, verschwindet. Wir fiebern mit Fritz, lachen mit ihm, erkennen seine unheilvolle Welt: Die Berliner Familie Eckhoff gehört zum deutschen Bildungsbürgertum, das einen engen Kulturkanon pflegt. "Moderne Musik", Bertolt Brecht, Thomas Mann werden abgelehnt. Eckhoffs fremdeln mit der Republik, schwärmen von deutscher Größe und von der Weltbedeutung des deutschen Geistes, der sich für sie in der Weimarer Klassik offenbart hat. Und doch entgleitet ihnen das Leben.
Bildungsbürgerlicher Kosmos und Nationalsozialismus
Meisterhaft erzählt Hinrich Lühmann von den Träumen, Brüchen und Verletzungen einer "guten deutschen Familie", er fächert eine sensible Geschichte auf, die den Abgrund nachempfinden lässt, auf den alle "Helden" dieses Romans hinsteuern. Lühmann, langjähriger Berliner Schuldirektor und Psychoanalytiker, gelingt es dabei, die Feinheiten eines Familiensystems in Zeit und Raum mit beeindruckender Sprachgewalt herauszuarbeiten. Eine deutsche Familiensaga. Ein Roman über die Lebenswirklichkeit von Ideologien und die Zerstörungskraft absolut gesetzter Ideale.
Memoir, Collage, Roman
Hinrich Lühmann gelingt eine vielschichtige Erzählung, in der er die Sprache seiner Protagonisten aus den realen Quellen herleitet und so eine verblüffende Authentizität herstellt. Quelle und Erfindung, Briefe und Roman verschmelzen. Hinrich Lühmanns Ich-Erzähler erklärt: "Ich bin der Enkel, ich heiße Hans-Christian Eckhoff, ich weiß von nix. Die Großeltern haben geschwiegen. Mutter machte den Mund nicht auf. Jetzt sind sie tot, ich bin übrig. Ich habe gesucht, gefunden, habe erfunden. Ich erzähle, was sie mir hätten erzählen müssen."
Wieviel Verständnis kann man für einen jungen Menschen und Nazi haben?
Die meisten Handlungsorte des Romans befinden sich in Berlin-Frohnau und auf der Schulinsel Scharfenberg, einer reformpädagogischen Schulgründung von 1920, auf der auch Lühmanns "Held" prägende Zeiten verbringt, eh er sich von Familie und Freunden trennt und auf einem Gut in Schlesien eine Lehre antritt, besoffen von der NS-Ideologie, getrieben davon, als "Mann" Hitlers "Reich" seine Dienste zu erweisen, gleichzeitig angezogen vom Glauben und den Ideen der Bekennenden Kirche - letztlich ein Konflikt, der unauflösbar dasteht, Lühmanns Geschichte aber umso komplexer werden lässt. Fritz ist ein Verführter, ein Suchender, ein Glaubender, kein Gottloser, ein "kleiner" Täter, in dem man so vieles von den schlechten deutschen Eigenschaften sieht, und der uns vorschnell moralisieren lässt: So verschlingen nationalistische Ideologien ihre Kinder. Aber Lühmanns Roman ist eben zu widersprüchlich. Gekonnt verwebt er klassische Bildungsideale, reformpädagogische Visionen, nationalistische Umtriebe, männerbündische Selbstspiegelungen und Irrungen, Kirche und Berlin als Bühnenbild so dicht, dass einfache Lehren eben nicht gezogen werden können und der Autor sogar das Kunststück vollbringt, seine Leserinnen und Leser Sympathie für einen Jungen, der Nazi wird, verspüren, sie selbst zu Verführten und schließlich Beschämten werden zu lassen. Nach einem solchen Wechselbad der Gefühle könnte man am Ende dieses bei aller Komplexität sprachlich so leichten Romans nicht nachdenklicher sein. Ein Buch, das ins Herz geht und den Kopf beschäftigt.