Als er sechzig war, 2003, hatte Franz Hohler einen Plan ausgeheckt: Ein Jahr lang jede Woche einmal zu wandern und darüber Bericht zu erstatten. Ein vielseitig anregendes Buch war das Ergebnis: '52 Wanderungen' (2005). Von März 2010 bis März 2011 wurde das Unternehmen wiederholt. Nun liegt der Band 'Spaziergänge' vor, wiederum zweiundfünfzig Erkundungen, auf jeweils zwei bis drei Seiten mit Akkuratesse geschildert. Später im Jahrhundert wird sich hier nachlesen lassen, wie es in den zehner Jahren bei uns im schweizerischen Mittelland ausgesehen hat. Denn dieses Mittelland, überbaut, übernutzt und trotzdem immer wieder reizvoll, gibt einen Hauptschauplatz ab.
Hohlers Kunst der Verkürzung ist es, die sich auch in den Reportagen über schweizerische Agglomerationen hervorragend bewährt. Vorwiegend um den Wohnort Zürich Oerlikon herum, den der Autor gelegentlich sogar querbeet verlässt, trotzig eine Himmelsrichtung anpeilend, als befinde er sich auf offenem Feld. Er verbietet sich konsequent die Flucht ins pure Idyll, das man, mit einiger Mühe, gelegentlich noch aufspüren könnte. Er geht unter Autobahnen durch, Schallschutzwänden entlang, an Einkaufszentren und Wohnblockgegenden vorbei. Durch Betonunterführungen kommt er via Kehrichtverbrennungsanlage zur Glatt, dem 'tapferen kleinen Fluss', der durch 'das Fegefeuer der Agglomeration' getrieben wird, bevor ihn der Rhein erlöst. Vor den Augen des Wanderers wird an der neuen Durchmesserlinie gebaut. Von jurassischen Felsköpfen aus geraten Relaisstationen und Atommeiler in sein Blickfeld. Ohne bitteres Urteil, nur bedauernd manchmal, benennt er, was er sieht. Und er sieht immer wieder auch Ermutigendes, etwa einen Steilhang an der Limmat, in dem neuerdings Eisvögel nisten. Oder er erreicht die alte Lazariterkirche bei Dübendorf und drumherum 'ein Stück unverletzte Landschaft'. Zeichen der Vergangenheit werden vermerkt, verwitterte Schriften, überwucherte Wegweiser, Bunker, Ruinen. Wildnis und Zivilisationswüsten stossen in diesen Texten irritierend aneinander. Das Gewöhnliche wird in seiner Ungewöhnlichkeit ersichtlich, wenn man es so vorurteilslos erzählt bekommt wie hier.
Beatrice von Matt, NZZ