Die Analyse von Fotos besitzt eine lange Tradition. Nachdem Charles Darwin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine berühmte Studie über die nonver- 1 balen Zeichen von Emotionen veröffentlicht hatte, publizierte Antoinette M. 2 Feleky 1914 die erste empirische Analyse von Emotionen anhand von Fotos. Auf ihren Vorarbeiten aufbauend legte Robert S. Woodworth 1938 eine sec- stufige Klassifikation von Emotionen vor, die man umso besser erkennen kann, 3 je weiter sie voneinander entfernt sind. Bereits einige Jahre zuvor hatte Werner Wolff seine Studien zur Asymmetrie von Gesichtshälften mit Hilfe halbierter 4 Fotos herausgebracht, und nur wenige Jahre später ist Norman L. Munns Ana- se des Einflusses von Informationen über den Handlungskontext auf die Identifi- 5 kation von Emotionen erschienen. Gemeinsam ist diesen Studien ihr phäno- nologischer Ansatz: Den Verfassern ging es um die Existenz, die Art und die Unterscheidbarkeit von menschlichen Eigenschaften. Dabei waren Fotos wi- kommene Hilfsmittel. Ihr Interesse war objektbezogen, ihre Vorgehensweise deskriptiv. Vergleichbare Fragestellungen liegen drei Studien des vorliegenden Bandes zugrunde. Dabei geht es um die Entwicklung der visuellen Berichterst- tung des Fernsehens über die Spitzenkandidaten bei Bundestagswahlen von 1990 bis 2009, um das Verhältnis der visuellen Darstellung und verbalen Beschr- bung von Publikumsreaktionen bei Politikerreden sowie um die Frage, ob meh- re Fotos von einer Person eine hinreichende Grundlage für Urteile über ihre Persönlichkeit sind. In allen genannten Fällen geht es um die Existenz und Art von Phänomenen.
Ein Großteil unserer Eindrücke von Politikern und anderen Personen der Zeitgeschichte beruhen auf Fotos und Filmen. Oft erinnert man sich eher an ihr Aussehen und Auftreten als daran, was sie gesagt haben. Dabei ist den Betrachtern meist nicht bewusst, dass die Aufnahmen nur begrenzte Ausschnitte aus dem Verhalten zeigen, und dass ihre Auswahl zuweilen höchst subjektiv erfolgt. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf: Nimmt die Bildberichterstattung über Politiker zu oder kommt es einem nur so vor? Wie wirken Gestik und Mimik von Politikern auf Fernsehzuschauer? Welchen Einfluss nehmen Redaktionen auf die Bilddarstellungen? Können sich Zeitungs- und Zeitschriftenleser anhand von Politikerfotos ein realistisches Bild von ihrer Persönlichkeit machen, oder erliegen sie einer Au-genzeugenillusion? Diese und eine Reihe weiterer Fragen beantwortet das vorliegende Buch mit Analysen der Medienberichterstattung und Experimenten zur Wirkung von Fernsehbeiträgen und Pressefotos.