Die Privatbibliothek von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) ist eine der bedeutendsten Autorenbibliotheken der deutschen Literatur, die bei seinen relevanten literarischen Projekten ein essenzielles Arbeitsmittel war und reichhaltiges Quellenmaterial zur Kontextualisierung seiner Werke beinhaltet. Dennoch blieben dezidierte wissenschaftliche Untersuchungen zum umfangreichen Korpus weitestgehend aus. Dies verwundert, weil die historischen Exemplare mit nonverbalen und verbalen Lesespuren wie Marginalien und An- und Unterstreichungen versehen sind, die zeigen, wie Goethe mit den Büchern gearbeitet hat und entschleiern, was im fertigen Text zunächst verborgen bleibt. Das Thema bietet reichlich unausgeschöpftes Bearbeitungspotenzial, weshalb im Fokus dieser Forschung die Untersuchung von Lesespuren in ausgewählten Werken von Goethes privater Büchersammlung steht, die zuvor nicht unter den Gesichtspunkten sowie in diesem Ausmaß analysiert wurden.
Besonders die Entstehung der Italienischen Reise lässt sich mit Hilfe der Bücher aus Goethes Privatbibliothek nachvollziehen, denn beim Verfassen des Textes wurde Goethe durch andere Bücher aus seiner Bibliothek beeinflusst, in denen sich Lesespuren befinden. Beim literarischen Produktionsprozess waren insbesondere die Reiseberichte Historisch-kritische Nachrichten von Italien von Johann Jacob Volkmann (1732-1803) und Voyage en Sicile et dans la grande Grèce von Johann Hermann Riedesel (1740-1785) elementar. Sie stechen aus der Masse der Bücher von Goethes Privatbibliothek heraus, weil sie diverse Lesespuren enthalten, die Indizien über den literarischen Produktionszyklus der Italienischen Reise liefern. Anhand der Analyse, Interpretation sowie Kontextualisierung der Lesespuren soll untersucht werden, ob bei dem Reisebericht ein Spannungsverhältnis zwischen Authentizität und literarischem Konstrukt vorliegt und inwieweit die Privatbibliothek Goethes als ein Spiegel der Italienischen Reise fungiert.